Newsletter Nr. 1: Chengde, Sommerresidenz der Qing-Kaiser!

Kurzvisite in eine erwachende Stadt 250 km nordöstlich von Beijing

 

Gestern Donnerstag fuhr ich, da ich nur diesen Tag zur Verfügung hatte, nach Chengde. Da ich beim Buchen via Reisebüro knapp war, ging ich am Morgen einfach selber zum Startpunkt des Fernbusses. Da stehen dann überall Leute, welche irgendwie mit dieser Reise zu tun haben und man wird auch gleich gefragt, ob man nach Chengde wolle. Immerhin musste man nicht über den Preis feilschen, weil der für alle gleich war. Dafür ging es dann um die Frage, ob man über die Autobahn gehe oder nicht, weil dafür jeder noch 10 Yuan drauf zahlen muss. Das passierte während der Fahrt und es wurde irgendwie Chinesisch abgestimmt, d.h. es wurde schon gefragt, aber die Antwort gab derjenige, der das Geld einzog eigentlich gleich selber: Er begann nämlich einfach das Geld einzusammeln. Mir war es Recht, denn sonst hätten wir rund 2 Stunden länger gebraucht. Aber stellt euch mal vor, in der Schweiz müsste vor der Abreise zum Skiweekend im Bus abgestimmt werden, ob man über die Autobahn geht oder nicht. Naja, die Autobahngebühren sind in China so organisiert wie in Italien oder Frankreich, d.h. es wird je Streckenabschnitt abgerechnet.

 

Der Bus selber war halt so wie diese chinesischen mittelgrossen Busse nun mal sind. Das Fahrzeug ist schlecht isoliert und der Boden spiegelt das wieder, was er eben so erleiden muss. So frönte der hinter mir Sitzende zwischendurch ganz ungezwungen dem "Chodere" (für China Unkundige: Ja, das heisst, er hat im Bus auf den Boden gespuckt!). Ist halt auch hier herbstlich-kühl, so dass man diese offenbar nicht auszurottende chinesische Eigenart wieder vermehrt erdulden muss.

 

Nun zu Chengde selber: Chengde ist eine Stadt in der Beijing umliegenden Provinz Hebei. Es liegt, für diejenigen, welche es von unseren Reisen kennen, hinter Simatai, d.h. man kommt an diesem Abschnitt der Grossen Mauer vorbei. Chengde, früher noch Rehe genannt (wegen der warmen Quelle, "re" heisst "heiss" und "he" heisst "Fluss"), wurde 1703 durch den Kaiser Kangxi auf einem Jagdausflug entdeckt. Der Kaiser war offenbar so begeistert von dem Ort, dass er einen Jagdsitz bauen und diesen kontinuierlich vergrössern liess. Eines der Prunkstücke ist der "Bishu Shanzhuang" ein kaiserlicher Park, grösser als der Sommerpalast und die verbotene Stadt zusammen, wobei es hier nur um die Grösse geht, nicht um die Anzahl Gebäude oder Ähnlichem. Die Sommerresidenz ist den Landschaften von Hangzhou, Suzhou und Jiaxing sowie den mongolischen Steppen nachempfunden. Der Park ist mit einer Miniatur-Ausgabe der Grossen Mauer umgeben. Man kann den Park erwandern, was ich aber aus Zeitgründen leider sein lassen musste. Ich stieg auf einen Elektrobus mit einem Fahrer, der Niki Lauda oder dem jungen Schumacher alle Ehre gemacht hätte. Immer dort wo "Slow" stand, wollte er uns allen wohl beweisen, dass man diese Kurve auch ohne Bremsen schafft. Da ich diesen Bericht schreibe, wisst ihr nun, dass er es geschafft hat.

 

Noch kurz wegen der Grösse des Parkes: Der Eintritt kostete vor zwei Jahren offenbar noch 80 Yuan, jetzt aber 120 Yuan. Als ich lachend zum Ticketverkäufer sagte, das sei aber eine ordentliche Teuerung, meinte er nur, dass dieser Park schlesslich viel grösser sei als der Sommerpalast in Beijing, weshalb der Preis auch höher sein dürfe als dort. Der Preis wird also mit der schieren Grösse erklärt, nicht etwa mit der Nachfrage oder Ähnlichem. Ich musste schmunzeln.

 

Ausserhalb des Parks stehen acht Klöster, wobei der tibetanische Stil überwiegt. Dabei ging es um die Aussenwirkung, denn Chengde wurde nach und nach zu einem wichtigen Instrument chinesischer Aussenpolitik. Dort wurden oft mongolische (sie waren Lamaisten) und tibetanische Politiker empfangen. Das war offenbar der Grund, warum dieser Baustil vorherrschte. Chengde wurde so etwas wie das Bindeglied zwischen dem Kaiserreich und den Mongolen im Norden, welche für China stets wichtig waren.

 

Der Hofstaat des Kaisers zog jeweils im Sommer nach Chengde, um der dortigen Sommerhitze zu entfliehen. Dabei sollen jeweils bis zu 10'000 Beamte die siebentägige Reise angetreten haben. Mit der neuen Autobahn verkürzt sich die heutige Reise auf ein paar wenige Stunden. Schade, hatte ich nicht mehr Zeit, da Chengde gespickt ist mit Sehenswürdigkeiten und offenbar auch mit Landschaften, die es wert wären, erwandert zu werden, aber eben, ich musste noch am selben Tag zurück. Ich hatte nicht mal Zeit für ein Mittagessen. Aber ich wurde dafür auch reichlich entschädigt mit schönen Ansichten eines mir bislang unbekannten Ortes und dies trotz kühlem Herbstwetter mit viel Nebel.

 

Heute Abend (23.10.) fliege ich nun nach Tunxi und fahre von dort weiter nach Huangshan, einem Gebirge in der Provinz Anhui. Dieses Gebirge habe ich noch nie besucht, aber aufgrund der erhaltenen Informationen soll sehr malerisch und ein von Chinesen vielbesuchter Ort sein. Ich verbringe dort drei Nächte (eine davon auf dem Berg selber). Danach fahre ich ca. 3 Std. mit dem Bus nach Hangzhou (westlich von Shanghai), berühmt für seinen Westsee und die Gärten. Dort war ich 1996 einmal und möchte sehen, wie es sich nun heute präsentiert. Von Hangzhou fliege ich dann am 27.10 wieder zurück nach Beijing.

 

P.S. Für Fotografierende unter euch: Das war denn auch der Wehrmutstropfen, da der Himmel mit diesem milchigen Weiss einfach grässlich war. Unter normalen Umständen hätte ich die Kamera wohl wieder eingepackt, aber naja, ich hatte nur diese Zeit zur Verfügung.

 

 

Herzliche Grüsse in die Schweiz

 

23.10.2010/Jürg Wiesendanger

 

 

 

Für viele Chinesen ist Chengde auch ein Symbol der nationalen Schande, weil der Kaiser Xianfeng 1860 den demütigenden Kolonialvertrag mit den Briten, Franzosen und den Russen unterzeichnen musste. In diesem Vertrag wurde z.B. der Teil an die Briten abgetreten, welcher uns heute als Hongkong bestens bekannt ist. Die Tafel im Park "Bishu Shanzhuang" erinnert an diese Schande.
Was macht denn die grosse Mauer hier? Sie ist eigentlich ziemlich klein, auch wenn sie begehbar ist. Aber sie umfasst den ganzen Park. Wie im Text beschrieben, ist die Sommerresidenz so etwas wie ein gewaltiges "Swiss miniature" à la chinoise, worin die Kaiser alles Mögliche nachbauen liessen.
Ja, dieser gewaltige Tempel steht in Chengde, nicht etwa in Lhasa, wo sein noch gewaltigeres Vorbild steht: Der Potala-Palast. Der Palast hier heisst Putuo Zongcheng.
Und nur hier in Chengde kann man diesen Palast von der "Grossen Mauer" aus sehen.
Auch eine Pagode musste sein: Die Yongyousi-Pagode.
Dieses Bild stammt ebenfalls aus der riesigen Parkanlage. Solche Elemente erinnern nun eher an Hangzhou, welches mit seinem berühmten Westsee ebenfalls Vorbild für die Parkanlage war.
Das Puning-Kloster ausserhalb der Parkanlage soll angeblich nach dem Plan des ersten tibetischen Buddhistenklosters gebaut worden sein. Also von aussen betrachtet, ist es sehr chinesisch geprägt. Das gilt auch für die gerade im Bau befindlichen "Garagen" auf dem grossen Platz vor dem Kloster. In ein paar Monaten werden dort sicherlich wieder alle möglichen Shops aufgehen, meist mit ähnlichem oder identischem Sortiment. Dies ist jeweils ein untrügliches Zeichen dafür, dass voll auf den Tourismus gesetzt wird. Das der wohl eher nicht sanft ist, sagen mir meine Erfahrungen mit ähnlichen Orten.
Selbst dieses Gebäude lässt auf den ersten Blick noch nicht an Buddha denken. Aber halt, was steht denn da im Vordergrund?
Richtig, Gebetsmühlen und die wiederum stehen nun einem tibetanischen Buddhistenkloster gut an.
Im hinteren Teil des Klosters sah es dann so aus. Der Stil entwickelte sich immer mehr in Richtung "Tibet".
Zum Schluss fand sich in der grössten Halle des Klosters diese Guanyin-Figur. Guanyin ist so etwas wie die Jungfrau Maria des Buddhismus (Kenner des Buddhismus mögen mir diesen saloppen Ausdruck verzeihen); sie gilt als Göttin des Mitgefühls und wird verschieden dargestellt. Allerdings ist sie nirgends auf der Welt grösser als in diesem Kloster. Sie misst 22m und wurde aus fünf verschiedenen Holzarten hergestellt. Bei der Foto stand ich auf Höhe ihres Bauches (höher hinauf konnte man nicht). Schade - denke ich jedes Mal - dass die Buddhisten ihre Gottheiten oft in enge Hallen pferchen, wo ihre ganze Pracht nicht so zur Geltung kommt wie draussen. P.S. Für Fotografie-Interessierte sei noch angefügt, dass die Figur fast im Dunkeln stand und ich kein Stativ dabei hatte. Trotzdem gelang mir diese Aufnahme dank hoher ISO-Zahl und extremer Unterbelichtung (ja, richtig) aus der Hand. Beim Aufhellen half dann aber Photoshop kräftig mit.
 
 
 
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