Quo vadis Schweizer Wushu?

 

Zwiespältige Eindrücke vom 1. Qualifikationsturnier 2011 in Bern


Zum ersten Mal seit vielen Jahren hat wieder einmal ein Turnier der Swiss Wushu Federation in Bern stattgefunden. Um es vorweg zu nehmen: Die Auftritte unserer AthletInnen waren durchs Band weg gut bis sehr gut. Trotzdem, die Nachwuchsarbeit in den Schweizer Wushu-Schulen liegt im Argen. Anders kann man das gar nicht bezeichnen. Von 35 Starts bei den Standardformen der Kinder waren 32 (!) Starts von unserer Schule. Die drei anderen Starts waren von einer einzigen anderen Schule (vom Veranstalter Wushu Zentrum Bern). Dabei handelt es sich um so was wie die Hauptkategorie im Wushu-Formenbereich, d.h. dort finden sich die künftigen Nationalmannschaftsmitglieder der Formen-Elite. Bei den JuniorInnen sieht es nur unwesentlich besser aus: Von 24 Starts sind 17 (!) Starts von unserer Schule. Die andern 7 Starts gehen wiederum auf die Schule des Veranstalters. Die beiden aktiven Hauptschiedsrichter stammen aus unserer Schule. Das Jurypult an den Formenturnieren wird von Leuten aus unserer Schule gemanagt. Beides letztlich aus der Not heraus, dass es sonst niemand anders machen würde.

 

Der Verband ist seit einigen Jahren Mitglied von Swiss Olympic, hat dadurch mehr Geld, hat seine Strukturen laufend verbessert (siehe z.B. die bahnbrechende Software für die Turnier-Wettkampforganisation), Trainerausbildungen aufgebaut, eine Geschäftsführerin angestellt, als 1. Verband Europas das Duanwei-System (Graduierungssystem aus China) eingeführt, hat im Hinterkopf bereits die Errichtung von Regionalzentren und da frage ich mich nun natürlich mittlerweile: Wofür das alles? Die andern Schulen tun wenig bis gar nichts, um das Formen-Wushu in der Schweiz vorwärts zu bringen. Sie verstecken sich hinter Aussagen wie: "Ja, wir haben unseren Fokus auf die Erwachsenen gelegt. Die bringen mehr Geld." Oder: "Wir machen traditionelles Wushu". Letztlich alles gut und recht, legitime Antworten allesamt, aber irgendwann müssen wir einfach Farbe bekennen. Mit dem Schritt zu Swiss Olympic bekannte sich der Verband damals eindeutig zum Leistungssport und zur Förderung von Wushu auch in der Breite (und tut dies auch heute noch). Was haben wir denn bisher wirklich erreicht? Leicht überspitzt gesagt: Nichts, ausser dass der Verband mittlerweile organisatorisch gut aufgestellt ist. Die mit Abstand führende Schule im Bereich "modernes" Formen-Wushu sind wir. Aber das bringt letztlich der Entwicklung von Wushu in der Schweiz wenig bis nichts. Wir müssen, um in der Zukunft wirklich erfolgreich sein zu können, endlich breiter abgestützt sein. Die Schulen MÜSSEN in den Nachwuchsbereich investieren und den Kindern Standardformen beibringen. Wenn sie das nicht tun (wollen), muss man irgendwann ehrlich sein und die Übung abbrechen, will heissen, bei Swiss Olympic den Austritt geben und die Verbandsstrukturen herunter fahren. Aber so kann es einfach nicht mehr weitergehen. Es kann nicht sein, dass unsere Schule quasi sämtliche Knochenarbeit im Wushu-Nachwuchsbereich der Schweiz erledigt.

 

Nun aber doch noch kurz zu den Resultaten: Sowohl Andreas Bühlmann (Elite) als auch Sophie Gonzalez (Juniorinnen), zwei stets valable Medaillenkandidaten, fehlten von unserer Seite an diesem Turnier. Dafür war Lisa Derendinger nach langer Verletzungspause wieder dabei, was dem knappen Elitefeld bei den Frauen sichtbar gut tat. Sie holte denn auch gleich wieder zwei erste Plätze. Bei der Elite der Männer war seit langer Zeit dafür wieder Kay Gürber mit dabei (er ist im Moment im Militärdienst als Durchdiener) und er machte den Arrivierten, auch wenn es noch nicht ganz nach vorne reichte, wieder gehörig Druck. Jehmsei Keo scheint nun, nach langen Phasen des Probierens seinen Weg mit den Nandus (Schwierigkeitsgraden) gefunden zu haben. Dadurch wirken seine Formen insgesamt wieder kompakter und nun leidet auch seine herausragende Stärke - die B-Note (Gesamtleistung, d.h. Kraft, Harmonie, Rhythmus, Stil etc.) - nicht mehr darunter. Er holte heute zwei Siege, einen davon mit der Tageshöchstnote von 9.30.

 

Eine sehr schöne Entwicklung bei den Juniorinnen (Jg. 1998 und älter) macht im Moment Livia Lochmann durch. Sie, die damals in den Kinderkategorien unserer Ansicht nach stets etwas unterbewertet war, hat sich nun so weit entwickelt, dass sie in jeder Kategorie zu den Sieganwärterinnen gehört. Sie holte zwei Siege gegen eine harte Konkurrenz. Den dritten Sieg verpasste sie in einem umstrittenen Kampf um nur 2 Hunderstel. Bei den Junioren war unser nominell stärkstes Pferd, Pascal Dutoit, nach langer Verletzungspause noch nicht ganz wieder der Alte, um die ganz starke Konkurrenz der beiden Berner Kontrahenten zu parieren. Aber bei ihm wird es nur eine Frage der Zeit sein. Bei den Mädchen (Jg. 1999 und jünger) war Naemi Schatzmann dreifache Siegerin! Bei den Jungen holte sich Jackie Phan einen ersten und zwei zweite Plätze. Auch hier war der Gegner aus Bern übermächtig.

 

Gefreut haben uns die insgesamt acht Kinder, welche heute ihren ersten Wettkampf hatten. Sie alle können diesen Wettkampf als positives Erlebnis abbuchen. Kein einziges von ihnen vergass einen Teil der Form, d.h. sie alle bewegten sich ungefähr im Rahmen dessen, was sie auch schon im Training gezeigt haben. Das ist erfreulich. Macht weiter so!

 

 

Jürg Wiesendanger/13.3.2011

 

 

Die offizielle Rangliste wird sich wie immer auf www.swisswushu.ch finden.

 

Auch dieses Jahr führen wir in Kategorien mit 8 und mehr Teilnehmenden alle unsere Plätze bis zum Ranglistenfünften auf; bei kleineren Kategorien sind alle Medaillenränge genannt:

Kategorie Resultat
Freie Formen mit Pflichtbewegungen: Langwaffen Damen   1. Lisa Derendinger
    3. Melanie Wyss
Freie Formen mit Pflichtbewegungen: Changquan Damen   2. Melanie Wyss
    3. Lisa Derendinger
Freie Formen mit Pflichtbewegungen: Kurzwaffen Damen   1. Lisa Derendinger
Freie Formen mit Pflichtbewegungen: Kurzwaffen Herren   1. Jehmsei Keo
Freie Formen mit Pflichtbewegungen: Langwaffen Herren   2. Jehmsei Keo
    3. Kay Gürber
Freie Formen mit Pflichtbewegungen: Changquan/Nanquan Herren   2. Jehmsei Keo
    3. Kay Gürber
Traditionelle Formen: Waffenlose Herren   1. Jehmsei Keo
Pflichtformen: Waffenlose Juniorinnen (Pflichtformen 1989/2001)   1. Livia Lochmann
    2. Michelle Leitner
Pflichtformen: Kurzwaffen JuniorInnen (Pflichtformen 1989)   2. Livia Lochmann
Pflichtformen: Waffenlose Kinder (46er-Form), Mädchen   1. Livia Lochmann
    2. Michelle Leitner
Pflichtformen: Waffenlose Kinder (46er-Form), Jungen   3. Pascal Dutoit
    4. Jackie Phan
    5. Dario De Simone
Pflichtformen: Waffenlose Kinder (32er-Form), Mädchen   1. Naemi Schatzmann
    2. Liana De Simone
   

3. Sheryl Kasper

Pflichtformen: Kurzwaffen Kinder (32er-Form), Mädchen   1. Naemi Schatzmann
    2. Sheryl Kasper
    3. Liana De Simone
Pflichtformen: Langwaffen Kinder (32er-Form), Mädchen   1. Naemi Schatzmann
    2. Sheryl Kasper
    3. Liana De Simone
Pflichtformen: Waffenlose Kinder (32er-Form), Jungen   2. Jackie Phan
    3. Maurice Hunziker
    4. Benjamin Müller
    5. Paco Sigrist
Pflichtformen: Kurzwaffen Kinder (32er-Form), Jungen   2. Jackie Phan
    3. Nevin Schatzmann
Pflichtformen: Langwaffen Kinder (32er-Form), Jungen   1. Jackie Phan
    2. Maurice Hunziker
    3. Sandro Wiesendanger

 

Nachfolgend nun noch einige Bilder:

Unser Wettkampfteam bei den Kindern, umfassend 18 AthletInnen, welche in den Standardformen der Kinder mit Jahrgang 1999 und jünger um die Medaillen am 1. Qualifikationsturnier 2011 kämpften.

Das sind diejenigen Kinder, welche 2011 zum ersten Mal an einem Turnier teilnehmen. Von links nach rechts: Niclas, Nicola, Gianluca, Viktoria, Anabel, Lee, Jan und Paco.
Jehmsei Keo nahm seit langer Zeit zum ersten Mal wieder in einer traditionellen Kategorie teil. Er gewann mit seinem Adlerstil mit grossem Vorsprung (0.5 Punkte) und erzielte mit 9.30 die Tageshöchstnote.
Naemi Schatzmann siegte in den Kinderkategorien der Mädchen gleich drei Mal, will heissen in allen Kategorien (waffenlos, Kurz- und Langwaffen).
Livia Lochmann siegte bei den Juniorinnen zwei Mal und lediglich zwei Hundertstel trennten sie von einem möglichen dritten Sieg. Hier zeigt sie das freie Rad. Man möge die Unschärfe verzeihen, aber meine Ausrüstung reicht dazu einfach nicht aus, da ich kein lichtstarkes Objektiv habe. Allerdings sieht man trotzdem, was man sehen muss...auch heute sind es immer noch sehr wenige Kinder und Junioren, welche in der Schweiz überhaupt ein freies Rad springen können.
Sheryl Kasper, die bereits die zweite Wettkampfsaison in Angriff nimmt. Dass sie bereits über Erfahrung auf dem Teppich verfügt, hat man ihr deutlich angesehen.
Benjamin Müller, als Beweis dafür, dass auch die Jungs eine gute Figur abgegeben haben. Er zeigt hier die Schwertform mit 32 Teilen.
 



 
 
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