WM 2011: Bericht von Jehmsei Keo

Aus der Sicht des Athleten

 

Nachstehend ein Bericht von Jehmsei Keo, der ja nun seit Jahren regelmässig an Europa- und Weltmeisterschaften mit dabei ist und auf einen reichen Erfahrungsschatz zurückgreifen kann. Danke, Jehmsei für die offenen Worte.

 

"Es wurde ja bereits im Bericht zur Trainingswoche erwähnt, dass Lisa und ich in genau dieser Woche in Ankara weilten um an der Weltmeisterschaft teilzunehmen. Auch im Training berichteten wir bereits kurz, wie wir das Ganze erlebt haben. Da die Wushu Akademie Schweiz mittlerweile aus mehr besteht als nur die Trainierenden der Schule, habe ich beschlossen auch für die Homepage einen kurzen Bericht zu verfassen. So kommen auch diejenigen zu einem Bericht, die auch nicht immer unten in der Halle stehen, aber genau so ihren Teil zum Gelingen der Schule leisten (man denke beispielsweise an die Eltern der Kinder, die viel Zeit für den Transport der Kinder opfern). Zudem ist es bestimmt interessant auch mal einen Bericht aus Sicht eines teilnehmenden Athleten zu lesen.


Zu Beginn soll einfach mal festgehalten werden, dass die internationalen Wushu Grossanlässe in der Regel immer noch chaotisch organisiert sind. Alle Informationen (Wettkampftage, Startnummern, etc.) erhält man erst, wenn man vor Ort ist, und die ersten Meetings der Offiziellen durch sind. Und selbst dann kann es immer noch zu Änderungen kommen, weil es jemandem nicht passt. Der negative Unterton ist wohl nicht zu überhören, doch wird so halt auch deutlich, dass der internationale Wushu Verband in diesem Bereich bestimmt noch keine professionelle Leistung erbringt. Wie Wushu so je eine olympische Disziplin werden kann, ist mehr als fraglich. Weiteres dazu später im Bericht. Wie auch immer, als Athlet muss man bei diesem organisatorischen Chaos einfach flexibel sein, und sich nicht aus der Ruhe bringen lassen. Da Lisa und ich bereits zuvor an zwei Weltmeisterschaften waren (2007 in Beijing und 2009 in Toronto), waren wir also bereits darauf gefasst und konnten uns deshalb gut auf unsere Wettkämpfe vorbereiten. Womit wir bereits beim Wesentlichen angekommen sind: den Wettkämpfen

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Das Niveau derselben war erneut sehr hoch. Allgemein habe ich praktisch keinen physisch schwachen Athleten gesehen. Zudem meinte ich, dass der Niveauunterschied zwischen Asien und dem Rest der Welt nochmals zugenommen hat. In den Top 20 in der Kategorie Changquan der Herren, befanden sich fast ausschliesslich Asiaten. Eine Ausnahme war die Bronzemedaille des US-Amerikaners in dieser Kategorie. Allerdings hatte auch er chinesische Wurzeln. Lisa und ich platzierten uns in diesem starken Feld folgendermassen:

 

Lisa
Speer Frauen: 36.Rang (bei 45 Athletinnen) mit der Note 9.10
Schwert Frauen: 21.Rang (bei 27 Athletinnen) mit der Note 8.57
Changquan Frauen: 28.Rang (bei 35 Athletinnen) mit der Note 8.54

 

Jehmsei
Changquan Männer: 50. Rang (bei 85 Athleten) mit der Note 8.79
Gunshu Männer: 36.Rang (bei bei 45 Athleten) mit der Note 9.09
Daoshu Männer: 30.Rang (bei 50 Athleten) mit der Note 9.00

 

Auf den ersten Blick scheinen die Rangierungen nicht ganz so erfolgreich, jedoch soll der Erfolg nicht immer nur quantitativ definiert werden. Deshalb wähle ich nachfolgend einen differenzierteren Ansatz, der nicht nur die reine Rangierung als Erfolgskriterium nimmt.
Betrachten wir zunächst Lisas Leistung im Speer. Auch wenn sie sich nicht weiter vorne platzieren konnte, so muss man genau betrachten, wie sich die Note zusammensetzte. Sie erhielt eine makellose A-Technik-Note von 5.0, was gar nicht hoch genug einzuschätzen ist. Abzüge musste sie in der B-Note hinnehmen (Kondition, Kraft, Rhythmus, Choreographie etc.). Doch auch hier hat Lisa wohl das mobilisieren können, was in diesem Moment möglich war. Gerade im Sommer, der Hauptvorbereitungszeit der WM, musste Lisa sich noch mit dem Pfeifferschen Drüsenfieber herumschlagen. Was sie in den letzen Vorbereitungswochen noch leistete, verdient unter diesem Aspekt grössten Respekt und genau deshalb ist ihre Leistung zufriedenstellend. Im Changquan und Schwert musste sie zwar ein paar Abzüge für Nandu (Schwierigkeitsgrade, welche es bei den Langwaffen nicht gab) in Kauf nehmen, und trotzdem will ich hier auch mal wieder festhalten, dass Lisa sich auf absolut hohen Niveau bewegt. In Europa gibt es nicht allzu viele Athletinnen, die sich schöner bewegen. Was ihren europäischen Gegnerinnen an Eleganz fehlt, kompensieren sie oft durch Kraft. Und gerade mit dem Hintergrund der Krankheit und der Vorbereitungszeit wird doch deutlich, dass wir bei Lisa auf einem guten Weg sind.


Mit meinen Leistungen bin ich persönlich absolut zufrieden. Seit ich meine Nandu so umgestellt habe, dass ich alle zu hundert Prozent stehe, bin ich an allen Wettkämpfen seither immer alles gestanden. So wie auch an diesem Wettkampf. Dies hatte zur logischen Folge, dass sich die Noten viel höher einpendelten, als dies an allen anderen internationalen Wettkämpfen zuvor war. Meine Leistung konnte ich also so beeinflussen wie ich wollte. Einfluss auf die Rangierung zu nehmen, geht aber doch nur bedingt. Auch meine Vorbereitung war nicht immer ganz einfach, so bereiten mir meine Knie bereits seit 2008 mal mehr, mal weniger Probleme. Doch seit ich mich in die Hände des Movemed (Swiss Olympic Medical Center) begeben habe, hat sich der Zustand stark verbessert. An dieser Stelle auch mal ein herzliches Dankeschön an Dr. Germann und die Physiotherapeuten, insbesondere Marianne.


Dieser Bericht und die Analyse fokussieren natürlich vor allem positive Aspekte des Wettkampfes, jedoch offenbart so eine WM auch immer die Schwächen von uns. Und auch das soll wieder als Chance betrachtet werden. Nirgendwo sonst werden die eigenen Schwächen deutlicher offengelegt, als im direkten Vergleich mit der Weltspitze. Und nochmals, dieser Bericht ist bewusst positiv formuliert, was nicht bedeutet, dass wir uns nicht bewusst sind, woran wir arbeiten müssen. Diese Defizite werden mit dem ganzen Trainerstab der Wushu Akademie kritisch betrachtet und haben explizit Auswirkungen auf das Training aller Nachwuchswettkämpfer.


Schlussendlich möchten Lisa und ich uns einfach nochmal bei allen der Wushu Akademie bedanken (inkl. Eltern!), die uns ständig unterstützen und uns in Ankara die Daumen gedrückt haben. Wir haben die Jiayou-Rufe bis in die Ankara Sports Hall gehört!"

Jehmsei Keo


 

Zu den Fotos noch so viel: Die Fotos wurden von Fotografen aufgenommen und konnten vor Ort gekauft werden (aber nur als reine Bildabzüge), so dass ich die Bilder, was man auch sieht, wieder einscannen musste. Trotzdem, besser so, als gar nichts. Von Lisa gibt es keine solchen Bilder. jw/27.10.2011

 

Jehmsei mit li he tui qi xiang. Der Experte betrachte sowohl die Streckung des rechten Beines als auch das optimale leichte Abwinkeln des Fusses.
Za quan.
 
 
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