Projekt tägliches Training mit den Talentgruppen: Ein Zwischenfazit

Zhang Shuai bringt frischen Wind ins Training!

 

Als ich damals im Laufe des Dezembers 2011 das Projekt mit Zhang Shuai anzudenken begann, liess ich mich, wie so oft, zuerst von meinem Bauchgefühl leiten. Ich spürte, dass es Zeit war für eine Veränderung. Wenn man mich gefragt hätte, wäre ich wohl nicht in der Lage gewesen, einfach so auf die Schnelle fünf gute Gründe dafür aufzuzählen, mal abgesehen davon, dass ich Trainings mit Topleuten aus China grundsätzlich immer als sehr befruchtend empfand. Aber es gab Dinge, auf die wir Trainer "warteten" und die nicht "kamen" oder gewünschte Veränderungen entwickelten sich trotz grossem Einsatz unsererseits nur langsam in die gewünschte Richtung. Ich spreche dabei stets von unseren Talentgruppen (wohl etwas mehr von den Älteren, denn von den Kindern), bei denen ganz einfach andere Massstäbe gelten müssen, als für alle übrigen Trainierenden. Die AthletInnen unter sich waren irgendwie alle lieb und nett, aber wahrscheinlich war es ein bisschen zu harmonisch. In solchen Situationen muss man manchmal das bestehende Haus ein bisschen durchschütteln, ja, evt. auch mal auf den Kopf stellen.

 

Wenn wir das Ganze nun etwas weniger philosophisch betrachten und in den ganz normalen Trainingsalltag einsteigen, dürfen wir feststellen, dass Zhang Shuai bislang die Erwartungen mehr als erfüllt hat. Sie geht trotz der Sprachbarriere forsch ans Werk, hat eine anpackende Art und versucht, das Training abwechslungsreich zu gestalten. Sie mischelt den ganzen Trainingsbetrieb auf, bringt neue Ideen und neue Methoden, ohne dass wir alles in Frage stellen müssten, d.h. das Wushu wird in dieser Zeit nicht neu erfunden. Aber ihr Training wirkt inspirierend auch auf uns andere TrainerInnen und bereits sind einige Dinge ins Training der andern Gruppen eingeflossen. Es stellt sich nun auch als Glück heraus, dass sie bereits ein paar Worte Deutsch sprach, bevor sie zu uns kam. So ist dann doch nicht absolutes Schweigen angesagt, wie damals, als Lehrer Fan die ersten Male bei uns Training gab.

 

Ich hoffte, dass sie in den zwei Monaten etwas bewirken kann, was auf alle Seiten nachhaltig ist: Bei den AthletInnen und TrainerInnen. Meines Erachtens sind wir auf dem besten Weg dazu. Ich habe das Gefühl, dass es in allen Gruppen brodelt und köchelt, nicht negativ, sondern vielmehr positiv, einem Labor gleich, in dem es auf der Suche nach Neuem blubbert und gluckst. So langsam lassen sich alle auf diese Art Training ein, versuchen aufzunehmen, umzusetzen, zu verändern. Bei den Kindern ging das alles ein bisschen schneller, unvoreingenommener und lockerer. Aber auch die Junioren spürten rasch, dass hier etwas Einmaliges entstehen kann und dass sie durch das tägliche Training Dinge unablässig üben können, in einem Ausmass, wie es sonst eben nicht möglich ist.

 

Manchmal geschehen Dinge dann einfach, scheinbar, denn in Tat und Wahrheit sind sie oft bereits da, drin im Athleten und es fehlt der entscheidende Impuls, es rauszuholen. Drei wunderbare Beispiele sind für mich die Folgenden: Jehmsei, der plötzlich wieder ein freies Rad springt, sich nun, als gereifter Athlet, wieder an 540er-Sprünge wagt, an xuanzi-zhuanti (Butterfly-Schraube), Lisa, mit all den komplexen Sprüngen, die sie jetzt übt (z.B. freies Rad direkt in den Spagat oder ebenfalls 540er-Sprünge) und dann, insbesondere, Michelle, bei der wir das freie Rad ganz ehrlich gesagt vor Livia erwartet haben (sie springt es aber nun schon lange). Letzten Mittwoch war es endlich soweit: Michelle sprang ihr erstes freies Rad. Es war in ihr drin. Rausgeholt haben es neue Impulse einer neuen Trainerin. Letztendlich gesprungen sind aber alle diese Athleten selber. Warum plötzlich? Es sind manchmal nur Nuancen, die ausschlaggebend sind, ohne dass man genau sagen könnte, warum es nun auf einmal funktioniert. Der Erfolg entsteht aber oft auch im Kopf, sei es, dass der Athlet Vertrauen findet, in sein Training, in die Methoden, in den/die Trainer und damit auch in sich selbst.

 

Ich möchte allen Trainierenden gratulieren für ihren bisherigen Einsatz. Ich wünsche euch weiterhin viel Mut, denn Veränderungen, nicht nur im Training, brauchen auch mal Mut. Der Erfolg wird dann nachhaltig sein, wenn ihr so weiter trainiert, wenn Zhang Shuai nicht mehr am Teppichrand steht. Und noch dies: Setzt euch nicht zu sehr unter Druck. Rom wurde auch nicht an einem Tag gebaut, d.h. es muss und kann nicht schon alles Neue am nächsten Turnier funktionieren.

 

Jiayou!

 


Jürg Wiesendanger/24. Mai 2012

 


Hier nun gleich zu Beginn eines der ersten freien Räder von Michelle. Diese sind zu Beginn meist noch furchterregend tief und werden dann höher, d.h. es gibt mehr Reserve.

Sie hat es also tatsächlich gestanden.

Die grosse Erleichterung danach: Bei Zhang Shuai sieht man sie, bei Michelle glaubt man, sie zu sehen oder zumindest zu erahnen.

Das freie Rad von Pascal, der es auch schon länger springt, war zu Beginn auch noch nicht so hoch. Damals wäre er mir oben noch nicht aus dem Bild rausgesprungen...
Und jetzt kommen wir zu diesem im Text oben angesprochenen Labor, in dem probiert...
...versucht (freies Rad; "ce kong fan")...
...gewagt (540er-Drehung)...
...und Mut gezeigt wird (Livia mit "xuanzi zhuanti", Butterfly-Schraube), selbst wenn nicht immer alles klappte.
Als Sinnbild für Dynamik hält bei uns oft Jehmsei hin, aber auch dieses Bild von Naemi ist voller Spannung und Dynamik.
Die Trainerin scheint offenbar ansteckend zu wirken.
Als zweitletztes Bild habe ich diese Standwaage von Naemi gewählt, welche mir noch höher vorkommt, als sie es eh schon immer war.
Beim Schlussgruss besteht noch ein gewisses Steigerungspotenzial, da man ausser Jehmsei die andern eher als Flüsterer wahrnimmt. Aber wir bleiben geduldig...
 
 
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